Gefeierte Premiere: „Die Wunderübung“

Am Freitagabend hat „Die Wunderübung“ im Jungen Theater Premiere gefeiert. Beim Publikum kam Daniel Glattauers Komödie gut an.

Zum Glück richtet sich diese nicht an das Publikum, sondern an das Ehepaar Dorek, das gerade zu einer Paarberatung erschienen ist. Nach 14 Ehejahren ist es um die Beziehung dieses repräsentativen Mittelschichtspärchens so bestellt, wie das in der westlichen Welt so üblich zu sein scheint: schlecht. Jan Reinartz als Harmonie und Zuversicht ausstrahlender Berater mit dem schönen Namen Herr Magister eröffnet mit dem bekannten therapeutischen Singsang: Keiner sei gezwungen hier zu sein, alles sei offen, „alles ist Ihre Entscheidung“, und so weiter. Man entscheidet sich dann – mangels besserer Alternativen – zu bleiben. Es herrscht die klare wie klassische Rollenverteilung: Sie, also Frau Dorek (Jaqueline Sophie Mendel) fühlt sich allein gelassen mit Kindern, Beruf und dem bisschen Haushalt und klagt ihren Mann in massiver Weise an. Er, also Herr Dorek (Karsten Zinser) hat die permanenten weiblichen Angriffe satt, ist dabei überfordert und die ganze Situation ist ihm unangenehm. Herr Magister hat zum Glück wunderbar beruhigende Sätze parat: „Kein Paar, das hierherkommt, hat seine beste Phase.“ Nur, dass diese Beruhigungen bei diesen Klienten so gar nicht fruchten wollen. Sein ganzes therapeutisches Geschick und etliche Übungen müssen eingesetzt werden. Dabei waren sie doch mal so verliebt, damals beim Tauchen in Ägypten, wo sie sich kennen und lieben lernten. Kurz wird die Bühne in blaues Licht getaucht und man schwelgt in Erinnerungen einer wortlosen, gelingenden Kommunikation. „Wir waren eine klassische Unterwasserbeziehung“, beendet sie dann auch gleich bissig die kurz aufkommende positive Stimmung. Dass das Identifikationspotenzial riesig ist, wird an den Reaktionen des Publikums schnell deutlich. Es wird viel gelacht und es gibt Zwischenapplaus. Die Frage, wie man trotz allem, was man an Verletzungen in langjährigen Beziehungen erfährt zusammenbleiben kann, treibt uns alle um. Das zeigt sich an den Massen an Publikationen zum Thema à la „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“ und einer stetig boomenden Paarcoaching-Industrie. Daniel Glattauers Komödie, die 2015 in den Wiener Kammerspielen uraufgeführt und 2018 verfilmt wurde, trifft also ganz klar einen Nerv. In der temporeichen und optisch überzeugenden Inszenierung von Franziska Ritter fliegen die Wörter wie Gewehrkugeln durch die Luft. Die mit Klettverschluss an der Wand befestigten Kissen ebenfalls. Das Schauspielertrio spielt präzise, energetisch und mit feinem Gespür füreinander. Ihren Charakteren geht dieses Gespür jedoch völlig ab, was man zum Beispiel an der Übung mit der geschlossenen Faust sehen kann, die das verschlossene Herz der Ehefrau symbolisieren soll. Wie öffnet man dieses also als gefühlsarmer Mann noch dazu mit technischem Beruf? Nun, zunächst lange observieren und kräftig nachdenken, dann Werkzeuge einsetzen und wenn das nicht geht, einfach mit purer Muskelkraft. Herrlich anzusehen ist es, wie Karsten Zinser das Problem angeht und scheitert. Überhaupt sind es die wenigen stillen Momente zwischen den Wortduellen, die die wahre Komik aufkommen lassen. So wie der Moment, als Herr Magister den beiden Streithähnen zur Beruhigung zwei Hauben aufsetzt und erst einmal ein kleines, tonloses Gewaltfilmchen auf dem seiner Praxis eigenen Bildschirm konsumiert. Nach dieser Zwangspause ist alles anders. Das merken auch die Doreks gleich. Ihr Therapeut wirkt irgendwie ganz neben sich. Was dann folgt, ist „die Wunderübung“. Und was soll man sagen? Nach fast zwei Stunden Dauerstreit verlässt ein ziemlich glückliches Paar die Praxis. Wer wissen möchte, wie das bloß passieren konnte und keine Berührungsängste mit auf die Spitze getriebenen Geschlechterklischees hat, ist mit dieser vor Wortwitz strotzenden Komödie bestens beraten.

Göttinger Tageblatt vom 02.03.2019
Marie Varela

Am Rande des Nervenzusammenbruchs

Von diesem Abend der Wunderübungen lässt sich Publikum gern unterhaltsam überraschen und begeistern.

Paartherapeut Harald hat schlechte Karten. Seine Strategie scheint nicht aufzugehen. Er muss ständig drastisch dazwischenfunken. Joana und Valentin sind allerdings auch ein eingespieltes Team. Sie schöpfen gern und mit viel Elan aus ihrem Fundus an Kränkungen und kleinen Gehässigkeiten. Im Grunde haben sie jetzt auch keinen Bock auf irgendwelche Übungen, die ein bisschen Entspannung in ihren Schlagabtausch bringen sollen. Liebenswerte Eigenschaften des Partners aufzählen oder so tun, als ob auf einmal alles wieder wie früher sein könnte, das geht gar nicht. Daran scheitern sie fast schon ein vernehmlich. Die betont entspannte Therapeutenmimik von Jan Reinartz wird bald einem Härtetest ausgesetzt. Das moderate Lächeln verkrampft sich Zusehens, wenn Jaqueline Sophie Mendel und Karsten Zinser die Bühne des Jungen Theaters zur verbalen Kampfzone erklären. Erst recht, wenn die Beatles Hymne „All you need is love“ mal wieder durch die Lautsprecher säuselt. Dann liegen sich zwei Schattengestalten scheinbar verliebt in den Armen und haben in Daniel Glattauers Komödie „Die Wunderübung“ eigentlich was ganz anderes im Sinn, sich einfach mal wieder kräftig an die Gurgel zu gehen. Sie ist frustriert, er ist gestresst. Der langjährige Ehealltag hat beide angefressen, und so haben sie sich allmählich ein feines Bündel an Schuldzuweisungen geschnürt, bei denen Joana immer wieder in Rage gerät und Valentin erst mal schweigt, bis der nächste polemische Konter fällig ist. Es ist ein typisches Paar, das Glattauer in seiner komödiantischen Wunderübung mit therapeutischen Versöhnungsrezepten kollidieren lässt. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Das ist in diesem Fall das Publikum, dem solche Duelle und Störungen im Zusammenleben natürlich auch alltäglich vertraut sind. Es giggelt vergnügt, wenn Jaqueline Sophie Mendel erneut Alarmstimmung signalisiert und wütend auftrumpft und wenn Karsten Zinser bei jedem Wortgewitter erst mal durchzuatmen scheint, nochmal die Augen verdreht und die Mundwinkel absacken, bis er zum Gegenschlag ausholt. Natürlich kommen in diesen Kämpfen gegeneinander und gegen die Bemühungen des Ehefriedensstifters auch Verletzungen, Kränkungen und Enttäuschungen zur Sprache. Aber im Vordergrund steht das Schauspielvergnügen, das Regisseurin Franziska Ritter in ihrer Inszenierung mit viel Situationskomik verbindet. Während das Paar sich in schönen Erinnerungen verkrampft, greift ein genervter Harald zum Wischmopp, um die letzten Kampfspuren zu beseitigen. „Rollenspiel“ brüllt ein kaum noch moderater Mediator, damit sich seine Klienten endlich in die Gemütshaltung ihres Gegenübers versetzen. Doch sobald er ein Paar Kasperpuppen ins Spiel bringt, begegnen sich Teufel und Krokodil noch ein bisschen unversöhnlicher. Zum Scheitern verurteilt ist auch sein Versuch, die Phase der ersten Verliebtheit produktiv zu reanimieren und sein renitentes Paar zurück in den Tauchurlaub zu schicken. So beseelt sie auch mit ihren Flossen durch die lindgrün friedliche Praxiskulisse tapsen, umso wütender schlagen sie damit um sich, wenn sich die Bühne zum „all you need is love“-Sound erneut verdunkelt. Der Therapeut am Rande des Nervenzusammenbruchs braucht dringend eine Pause. Die veredelt ihm Bühnenbildnerin Susann Ruppert mit einem Klassenzimmercomic, in dem sich die Kids so schön blutig massakrieren, dass am Ende Köpfe und Gliedmaßen rollen. Das Paar will ein ähnlich blutiges Gemetzel anzetteln, aber da trickst Glattauers „Wunderübung“ die Erwartungen des Publikums wunderbar komödiantisch aus. Sein Schiedsrichter für Ehekrisen- und Bösartigkeiten hat nämlich noch ein paar Tricks auf Lager. Den Vorschlag, sich scheiden zu lassen, weist das beratungsresistente Paar empört zurück. Aber offenbar steht es auch um das Eheleben des Eheberaters nicht zum Besten. Das ist nun endlich mal ein willkommener Anlass, so wie früher gemeinsam und einvernehmlich zu punkten, mit Trostversuchen und vor allem mit guten Ratschlägen, wie die Krise zu meistern ist. Wer meint, dass jetzt die therapeutische Zunft mit ihrem Angebot an Beziehungsübungen durch den Kakao gezogen wird, muss sich erneut überraschen lassen. Glattauer stattet zwar vorwiegend Joana und Vincent mit erheiternden Stereotypen aus, um die Geschlechterverhältnisse mit den bekannten Verhaltensmustern komödiantisch aufzumischen. Aber so ganz unbeschadet kommt auch sein Eheberater nicht davon, der sich ebenfalls ein paar Klischees gefallen lassen muss. Der Schein trügt auch hier sehr schön in den pointierten Wortwechseln und den professionellen Attitüden, die ein ziemlich unglückliches Paar hier fast zu unterwandern scheint.

Göttinger Kulturbüro vom 05.03.2019
Tina Fibiger