Gekonnter Ritt durch die jugendliche Gefühlswelt
Theater kann manchmal praktische Lebenshilfe sein. Interessant ist das, wenn dabei nicht der Zeigefinger zum Einsatz kommt, sondern unterhaltsam und klug von alltäglichen Dingen erzählt wird. Am
Ende bemerkt das Publikum im besten Fall, dass es etwas gelernt hat, ohne den permanenten Atem von Aufklärung und Besserwisserei im Nacken gespürt zu haben.
Diesem Ideal kamen die Freien Kammerspiele aus Magdeburg mit ihrer Inszenierung "Haha, der letzte Erzähler" ziemlich nahe. Im Rahmen der 11. Werkstatttage des Kinder- und Jugendtheaters stellten
die Landeshauptstätter ihre Version des Stückes von Horst Hawemann im Großen Thalia vor. Zu diesem Zweck war extra die Bühne des Saals in eine neue Spielstätte verwandelt worden. Ein langer
Vorhang genügte um die jungen Zuschauer zu verwirren: "Wo sind wir hier? In der Abstellkammer?"
Nein, Haha (Eckhard Doblies) begrüßt die Zuschauer in seiner wunderlichen Welt. Der selbsternannte letzte Erzähler will sich eigentlich von seinem ungewöhnlichen Beruf verabschieden: "Hier
passiert doch nichts, was man berichten könnte." Traurig darüber ist er zwar, aber was bleibt ihm anderes übrig, wenn seine Umgebung in Lethargie versinkt. Da fliegt ihm per Theaterzufall der
Schweiger (Thomas Wingrich) vor die Füße. Der kann oder will sich nicht artikulieren. Dabei wäre es dringend nötig, das er den Mund aufmacht. Das größte Problem in der Pubertät hat ihn ereilt:
Wie sag ich`s der Angebeteten? Gleichzeitig sitzt ihm die Clique im Nacken, die ihn hänselt und zum Weichei stempelt, Liebe hin oder her. Auf der anderen Seite leidet Paula (Susanne Menner)
ebenfalls. Ihr Stolz ist verletzt, ihre Wut erregt. Denn der Schweiger schweigt über die Gefühle zu ihr und niemand hilft aus der Klemme. Bis Haha kommt, endlich hat er eine Geschichte gefunden
und dann noch eine mit Herz und Schmerz und Ewigkeit. Also in die Hände gespuckt und die Zunge gewetzt. Zu Hilfe kommen außerdem in chronologischer Reihenfolge: Polizist, Blumenverkäufer,
Postbote, Tante Paula und ein Nachtwächter (alles Michael Günther). Ein Gewaltritt durch alle nur denkbaren jugendlichen Gefühle begann, unterhaltsam, rasant, philosophisch. Das zugrundeliegende
Problem wurde weder aufgebauscht noch verharmlost, sondern mit Augenmaß und Einfühlungsvermögen verhandelt (Regie: Franziska Ritter) zwischen Slapstick sowie purem Wortwitz auf der einen Seite
und behutsamer Problematisierung auf der anderen Seite. Mut sollte die Aufführung machen, sich nicht dem Gruppenzwang zu beugen, sondern den eigenen Gefühlen zu vertrauen. Das gelang sehr
souverän.
Mitteldeutsche Zeitung
Gero Hirschelmann
Wenn man was will, muss man was wollen
...Was Regisseurin Franziska Ritter dann mit ihren Darstellern aufblitzen lässt, ist bestes, allerbestes Kindertheater. Wie kürzlich bei "Momo" werden hier wieder Maßstäbe für das Genre gesetzt.
Franziska Ritter entfesselt ein analytisches Spiel um die Ursachen der Entzweiung zweier Menschen, die über ihr Problem nicht reden, ja, wo einer einfach "Schluss" macht. Haha-Doblies wird zum
moderator, Berater, Arrangeur, Vermittler bei der letztlichen Wiederherstellung der Beziehung zwischen Paula und dem verknallten "Schweiger". Autor Hawemann. ...Clownerien ohne Clownsmasken.
Charakterstudien auf Verhaltensweisen Erwachsener in Kollision mit der Gefühlswert entflammter Kinderherzen. Das ist lustig wie nachsinnenswert, spielerisch heiter wie auch tif poetisch. Dass die
Ritter als bekannte Schauspielerin ihr Regiewerkzeug handhaben kann, wird auch deutlich, wenn sie die Darsteller aus ihren Rollen und Beziehungen aussteigen und in einen Plaudertalk mit dem
Publikum einsteigen lässt...
Volksstimme Magdeburg
Dr. Hermann Berger