Ein Traum aus weißem Tüll
"Wärme vom Grund macht Nasses rund. Wärme ist Leben, Leben ist Schweben..."
Eine Wolke fliegt als Schattenfigur über die Leinwand vor der Theaterbühne. Sie ist verantwortlich dafür, dass auf der Erde die Bäume Früchte tragen, das Korn reift, der Samen in der Erde keimt.
Eine große Aufgabe für diese Wolke (Anna Röder), der im Theaterstück "Frau Holle", das gestern in Gera Premiere feierte, auch eine große Rolle zukommt. Anders als im Original von den Gebrüdern
Grimm, unterstreicht die Bühnenfassung nach Rainer Kirsch Werden und Vergehen, den Kreislauf des Wassers und der Jahreszeiten. Jedes Sterben hat den Keim für neues Leben in sich. Dafür sorgt
schon die Frau Holle.
Während in der ersten Szene die Schatten-Wolke immer noch über den Köpfen der Schatten-Bauern schwebt, erklingt Antonio Vivaldis "Die vier Jahreszeiten". Eine passendere Musik hätte Regisseurin
Franziska Ritter für ihre Inszenierung tatsächlich kaum finden können. Nach dieser Einführung mit Licht und Schatten, Projektion und Musik ist der Blick frei auf den Garten der Frau
Schlossermeisterin Schwertfeger (schrullig und überkandidelt: Karin Kundt-Peters)) und ihre beiden Marien. Im Garten erwartet die Zuschauer eine weiter Figur, die nur auf der Bühne vorkommt: ein
Hase (herrlich frech und quirlig: Mechthild Scrobanita) als Identifikationsfigur. Sie begleitet die Schwestern im Reich der Frau Holle. Und: Sie hat die kleinen begeisterten Zuschauer im
ausverkauften Theatersaal gleich auf ihrer Seite.
Dieses Märchenland, in das der Weg durch den Brunnen im Garten führt, ist tatsächlich etwas sonderbar. Hier reden die Brote und rufen die Äpfel. Hier lodert ein riesiger Backofen von ganz allein,
zieht die Wolke ihre Bahn und macht Frau Holle das Wetter auf der Erde.
So richtig märchenhaft wird die Szenerie durch das verzaubernde Bühnenbild von Toto. Eine riesige runde Wolkenscheibe dreht sich permanent über die Bühne, verdeckt raffiniert, was der Zuschauer
erst im nächsten Bild sehen soll. Dazu die Schattenbilder als witziges I-Tüpfelchen. Passend zur Jahreszeit, die Frau Holle gerade der Erde überstreift. Märchenhaft schön auch die Kostüme. In
einem Traum aus weißem Tüll tänzelt die Wolke auf und ab. Frau Holle (Waltraud Steinke-Löscher) strahlt ebenfalls ganz in Weiß, mit ihr um die Wette. Bis das güldene Kleid der Goldmarie (das
Sinnbild alles Guten: Evelyne Cannard) alles übertrumpft. Natürlich will ihre faule Schwester ebenso hübsch aussehen, damit endlich die Männer um ihre Hand anhalten. Aber die Pechmarie (richtig
schön vorlaut, frech und rüpelhaft: Jenny Bertram) macht sich nicht gern die Finger schmutzig. Ihre Faulheit, die auf der Erde nichts als Trockenheit und Missernten hinterlässt, wird mit "Pech"
belohnt.
Eine tolle Inszenierung eines traumhaft schönen Wintermärchens, das einige Überraschungen parat hält, auch wenn man das Grimmsche Märchen schon längst kennt.
Ostthüringische Zeitung
Ulrike Michael