Die besten Bälle fliegen ins Grenzenlose

Als Kaviar sei er zur Welt gekommen, behauptete Daniil Charms. Wer das nicht glaubte, musste sich mit einer anderen Geschichte abfinden – der Zeugung als Aprilscherz und einer langen, langen Brutkastenperiode. Tatsächlich kam Daniil Charms 1906 in St. Petersburg zur Welt und verhungerte dort 1942 im Gefängnis. Zu Lebzeiten nicht gedruckt, aber unaufhörlich schreibend, den Wächtern sowjetischer Ideologie ein Dorn im Auge, zertrümmerte der Poet Wirklichkeit, um sie erträglich zu machen. In Gedichten, Erzählungen, kurzen Texten, erfand Charms ein Menschsein unter verrenkten Naturgesetzen, voller irrwitziger Abenteuer und hanebüchener Gefährdungen. Das Theater an der Parkaue erinnert jetzt daran, dass Charms auch für Kinder geschrieben hat. Fantasie zu befeuern, ungebärdig, frech und jenseits aller Logik und Wahrscheinlichkeit, das lag ihm. Und so beruht Die Reise nach Brasilien allein auf der Behauptung zweier Jungen, dass sie eben stattgefunden habe. Mögen Palmen im fernen Land wie Kiefern und Bisons wie Kühe aussehen – Kolja und Petja sind nach Brasilien geflogen, dort gewesen und wieder nach Hause gekommen: Punkt.
Franziska Ritter inszeniert das Spiel für Kinder der 1. bis 4. Klasse und zeigt, dass aller Spaß Disziplin braucht, Training, handwerkliches Können. Wie Stefan Faupel und Katrin Heinrich mit Pappkartons unterschiedlicher Festigkeit umgehen, wie sie sich vom rustikalen Karussell in ihre erträumte Ferne drehen lassen, immer im Wettbewerb miteinander, sportlich, den jungen Zuschauern nahe, ist eine Freude. Dieter Korthals gibt dazu den Philosophen, Piloten, Schrotthändler, was immer man will. Gemeinsam bauen die drei eine Welt – aus der Knipspistole. Der Ball springt, man muss ihn nur auffangen oder suchen. Er kann eben auch ins Grenzenlose fliegen.

Tagesspiegel
Christoph Funke