Alles frei-Stuhl besetzt

Ein Leitmotiv der Freien Kammerspiele ist der Geschlechterkampf, der Gegensatz von Mann und Frau und die Schwierigkeit, zueinander, das heißt zunächst zu sich, zu kommen. Bereits die Kinderstücke handeln unverblümt davon. Nach "Was heißt hier Liebe" brachte Franziska Ritter eine weitere Premiere zum Thema Nummer Eins heraus. Die Schauspielerin legt sich als Regisseurin genauso ins Zeug und zeigt, was sie weiß und kann. Das ist, bezogen auf die Inszenierung: sich auseinandersetzen, nicht aufgeben, Fehler machen und Fehler zugeben und immer wieder beginnen, auf seine Gefühle achten und den/die Andere in Gänze wahrnehmen.

Die Formel des polterigen, liebenswerten Stückes von Horst Hawemann ist: ER sitzt, Sie kommt- der Kampf um den Stuhl, den Platz in der Mitte, der Kampf um Bewegung. Er klebt an seinem Thron und pflegt die Ideologie der Einsamkeit. Sie ist von zu Hause ausgerückt und nährt die Ideologie des Abenteuers. Sie ist eine Suchende, er ein Wartender, beide suchen aber nach-und warten aufeinander. Sie will ihn mit tausend Tricks loseisen und in Trab versetzen, er will sie anhalten und bei sich haben. Dabei lernen sie sich kennen und lieben. Erst als sie wegläuft von ihm, steht er auf und will sie wiederfinden, als sie zurückkehrt, ist der Stuhl leer und sie untröstlich. Aber, natürlich happy End, beide sieht man mit der halben Backe fröhlich auf dem ganzen Stuhl. Lange werden sie ́s nicht aushalten. In der alten Kinderstube oder auf dem Hof begegnen sich dieser "schöne Jüngling" (Sven Seeburg) und seine "verwunschene Prinzessin" (Corinna Breite). Sie erinnert zunächst an eine Fremde mit ihrem Koffer, Leiterwagen und der Vermummung, er dagegen wirkt wie ein rohes Ei. Die Zuschauer ist es atemberaubend, für die Darsteller schweißtreibend, wie die beiden sich an den Kragen gehen...

Theater der Zeit
Jörg Mihan


Intelligentes Kindertheater

"Alles frei- Stuhl besetzt" – so seltsam wie der Titel ist auch das Stück des bekannten Regisseurs und Kindertheaterförderers Horst Hawemann. Das Stück ist eine Herausforderung an die Phantasie, wichtige zwischen-kindliche Probleme auf ganz kindlich-subtile Art zu betrachten und vergnügt über Lösungsmöglichkeiten nachzudenken. Klar, dass das komplizierte Zueinanderfinden von Männlein und Weiblein da im Mittelpunkt steht. In der Regie von Franziska Ritter ist ein Spiel entstanden, das man sich wohl beim Lesen kaum vorstellen kann, ein Spiel, das so recht in die Philosophie dieses Theaters passt und von den (letztlich ganz und gar aufgetauten) Kindern hörbar begeistert angenommen wird. Was passiert da? Womit begeistert Sven Seeburg die Kinder?

Erzählt wird durch ihn die Geschichte von einem "Er", einem kleinen Außenseiter, einem Trotzbübchen, das es sich in den Kopf gesetzt hat, auf einem Stuhl sitzen zu bleiben, nie wieder aufzustehen und so gegen alles zu rebellieren, was nicht in seinen Kopf geht und ihn ärgert. Er genießt das Alleinsein, seinen Sitzstreik. Doch fehlen ihm die Bewunderer seiner soooo starken Außenseiterrolle. Aber da kommt "Sie". Die urkomisch verpackte (warum eigentlich?) Corinna Breite ist so neugierig, wie die unruhig umherrutschenden Zuschauer, was das Sitzdenkmal wohl bedeutet, wohl bezwecken will. Sie kommt auf die abstrusesten Ideen, den "Stuhlkleber" zu lockern, ihm sein Trotzgeheimnis zu entlocken. Hierfür inszeniert Franziska Ritter nun ein Feuerwerk kuriosester Situationen. Mit dem Schlachtruf "Du bist ein Abenteuer- und ich will es erleben!" schießt Corinna Breite ihre Pfeile ab.
Einfach sehenswert, wie sie als selbstwertpralles Geschöpf immer wieder an der Stuhlfestung abprallt, dann das Eroberungsküsschen, ein besiegter Sieger und eine siegende Besiegte liegen sich in den Armen, haben viele Themen des Miteinanderumgehens, Sichachtens, Verstehens durchgespielt und dafür Resonanz erzeugt. Potzintelligentes Kindertheater.

Volksstimme Magdeburg
Dr. Hermann Berger